„Was kränkt, macht krank - was beleidigt, erzeugt Leid“  lautet eine auf die große Mystikerin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen zurückgehende Weisheit. Tatsächlich sind viele krankhafte Störungen auf nicht überwundene Kränkungen zurückzuführen.

Kränkungen führen zu Verunsicherung und Zweifeln, zu Schwermut und Grübelei, zu Freudlosigkeit und einer Verschlechterung der Lebensqualität. Sie lösen chronische Stressreaktionen aus, schwächen die psychische und auch die körperliche Widerstandskraft und münden oft in Resignation oder Verbitterung.

Kränkungen, welche in unserer Gesellschaft weitgehend verdrängt werden, bilden die Basis vieler somatoformer Störungen und sind eine der wesentlichsten Ursachen von Burnout und Depression. Wenn gekränkte und gedemütigte Menschen ihre seelischen Verletzungen mit Rauschmitteln zu betäuben versuchen, endet dies oft in Missbrauch und Abhängigkeit.

Treffen Kränkungen ganze Gruppen, Gemeinschaften oder Völker, können sie lang anhaltende Feindschaften, ja sogar Terror und Krieg zur Folge haben.

Kränkung als sozialer Prozess

Kränkungen sind mehr als negative Emotionen. Sie stellen die Interaktion zwischen einer kränkenden und einer gekränkten Person sowie dem Kränkungsinhalt, der eigentlichen Kränkung, dar. Da diese drei Hauptpole der Kränkungsreaktionen individuell sehr unterschiedlich sind, ist der Kränkungsbegriff so schwer zu definieren.

Am besten lassen sich Kränkungen als nachhaltige Erschütterung des Selbst und seiner Werte beschreiben. Sie berühren unsere sensiblen Stellen, seien dies nicht verheilte Wunden oder – im positiven Sinne – unsere Werte. Da sie den Menschen in seinem Innersten treffen, führen sie unweigerlich zu Irritation, Verunsicherung, Ängstlichkeit und Unlustgefühlen. Sie verletzen das dem Menschen so wichtige Gerechtigkeitsgefühl und rufen Enttäuschungsreaktionen hervor.

Umgang mit Kränkungen

Psychisches Wohlbefinden und seelische Gesundheit sind nur möglich, wenn wir unsere Kränkungen erkennen und bewältigen können. Diese werden erträglicher, wenn man den in jeder Kränkung enthaltenen wahren Kern finden kann, wenn man in die Haut des Kränkenden schlüpft und eigene Verletzungen ansprechen kann. Bei allen unangenehmen Gefühlen dürfen wir die in jeder Kränkung enthaltenen Chancen nicht übersehen.

Kränkungen liefern Chancen auf Selbstkenntnis, indem sie zeigen, was uns wichtig ist. Sie dienen auch der Fremdkenntnis, da hinter Kränkungen oft bislang unbekannte Seiten der kränkenden Person manifest werden. Wenn wir mit eigenen Verletzungen und den Kränkungsgrenzen anderer behutsamer umgehen, fördern wir eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften, das Einfühlungsvermögen. Der berühmte Astrophysiker Steven Hawkins hat kürzlich gemeint, dass von der Bewahrung der Empathie das Überleben der Menschheit abhängen wird.

Noch nie wurden Kränkungen so sehr tabuisiert wie in der heutigen Zeit. Vergessen wir aber nicht, dass hinter der Coolnessmaske unserer Gesellschaft immer der Mensch als kränkbares Wesen steht.