Was genau ist das Von-Willebrand-Syndrom eigentlich?

Das Von-Willebrand-Syndrom ist eine angeborene Gerinnungsstörung, die dadurch entsteht, dass im Blut ein bestimmter Gerinnungsfaktor fehlt oder nicht richtig funktioniert. Hier unterscheidet man zwischen dem qualitativen und dem quantitativen Defekt.

Wer kann davon betroffen sein? Gibt es da eine Einschränkung?

Nein, grundsätzlich kann jeder betroffen sein, auch Frauen und Männer gleichermaßen. Das ist auch ein Wesensunterschied zur Hämophilie, also der Bluterkrankheit, von der ja fast ausschließlich Männer betroffen sind. Das liegt an der Art der Vererbung: das Von-Willebrand-Syndrom wird nicht geschlechtschromosomenbezogen vererbt, sondern zumeist autosomal rezessiv. Das heißt, nur wenn es doppelt fehlerhaft vorhanden ist, wird’s relevant. Selten kann es auch autosomal dominant vererbt werden  Das ist aber ein sehr komplexes Thema, so wie das Gen selbst.

Wie viele Betroffene gibt es denn ungefähr?

Hier muss man unterscheiden zwischen denjenigen Zahlen, die es theoretisch gibt und denen, die wirklich diagnostiziert sind. Bei sehr vielen PatientInnen findet nie eine Diagnose statt, weil es sehr viele leichte Formen gibt, die entweder nie oder erst sehr spät auftauchen und wenn, dann nur durch Zufall entdeckt werden.

Wie man das dann genau in Zahlen gießt, hängt also auch von der Berechnung ab, nimmt man alle Typen und Variationen zusammen oder nicht. Normalerweise geht man aber davon aus, dass von 100.000 Einwohnern ungefähr 800 Menschen betroffen sind, rein von Genetik und Vererbung her, aber nur ein Bruchteil davon hat wirklich relevante Symptome – nämlich vielleicht zehn bis fünfzehn Personen. Da muss man wiederum unterscheiden, ob nur der genetische Defekt vorhanden ist oder auch tatsächliche klinische Symptome auftreten.

Wenn nun keine Diagnose vorliegt – woran kann denn ein Betroffener merken, dass er am Von-Willebrand-Syndrom leidet?

Ein Zeichen könnte die vermehrte Neigung zu blauen Flecken sein oder wenn bei den Kindern beim Zahnwechsel ungewöhnlich lang nachgeblutet wird. Zähne sind auch bei Erwachsenen ein guter Indikator – wenn sie nach dem Zähneziehen lange bluten, nach einem chirurgischen Eingriff oder bei Frauen durchaus auch nach einer Geburt. Es muss also schon auch immer eine entsprechende Situation vorliegen, damit man es bemerken kann.

Wie sieht dann in weiterer Folge der Diagnoseweg aus?

Der wichtigste Diagnoseschritt ist, daran zu denken, also diese Möglichkeit im Hinterkopf mit dabeizuhaben. Die Diagnose ist dann eine Labordiagnose über eine Blutabnahme, wo gezielt der Gerinnungswert angeschaut wird. Natürlich spielen bei der Diagnostik viele Faktoren eine Rolle. Es hängt davon ab, in welcher Situation das Blut abgenommen wird (gleichzeitiger Infekt, Blutgruppe, Zyklustag, Schwangerschaft usw.) Das ist auch mein Appell an die Kollegen: Denken Sie häufiger an diese Diagnose .

Wie gefährlich ist es denn, am Von-Willebrand-Syndrom erkrankt zu sein?

Das hängt vom Schweregrad ab. Bei einem leichten Verlauf gibt es klinisch kaum Probleme, außer vielleicht eine leichte Neigung zu blauen Flecken. Bei schwereren Verläufen kann es rund um chirurgische Eingriffe zu Problemen kommen, speziell im HNO-Bereich ist da Vorsicht geboten. Der springende Punkt ist, daran zu denken.

Wie gut ist die Krankheit denn erforscht?

Nachdem man sie schon recht lange kennt, ist sie das ganz gut, aber es gibt immer wieder Überraschungen. Der Von-Willebrand-Faktor hat sehr viele Funktionen, das heißt, das Grundprinzip ist gut erforscht, aber noch nicht restlos.

Gibt es Heilungschancen?

Bis jetzt hat die Medizin noch keinen Heilungsansatz entdeckt. Allerdings gibt es sehr gute Therapiemöglichkeiten. Über gewisse Reserven im Körper kann etwa in vielen Fällen der Faktor medikamentös auf eine gewisse Zeit auf ein normales Level gehoben werden. Ein Leben mit dem Von-Willebrand-Syndrom ist heute also kein Problem mehr – es muss nur bekannt sein.