Dr. Joachim Strauß
Arzt für Allgemeinmedizin mit Diplom für Psychotherapeutische Medizin, Lehrtherapeut und Balintgruppenleiter der ÖÄK

Psychosomatik und Medizin

Der Patient ist männlich, über 40 Jahre alt und arbeitet als Busfahrer. Eigentlich ist er zu einer Routine-Führerscheinuntersuchung beim Arzt, für seinen hohen Blutdruck nimmt er Medikamente. Dennoch ist der Blutdruck weiterhin oft weit über dem Normbereich. Neben hohem Übergewicht und zu wenig Bewegung, steckt vor allem Stress hinter dem körperlichen Leiden: Dem Busfahrer fällt es schwer zu delegieren, alles möchte er selbst erledigen. Allerdings ist das für den Betroffenen nur schwer zu erkennen – daher setzt hier die psychosomatische Medizin an.

„Psychosomatische Medizin ist die Integration von Psychosomatik in die Medizin. Sie versucht, auch die psycho-sozialen, biographischen und kulturellen Aspekte eines Menschen in seine Behandlung einzubeziehen“, erklärt Joachim Strauß, Referent für Psychosoziale, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin in der Österreichischen Ärztekammer.

Medikamente reichen nicht bei psychosomatischen Erkrankungen

Das Beispiel stammt aus seiner Praxis – das Verhalten des Patienten, das weiterführende Gespräch, in dem eine mögliche familiäre Vorbelastung festgestellt wurde und die szenische Information. All das sind wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Behandlung. „Mit Medikamenten alleine kommt man hier nicht weit“, so der Psychosomatik-Experte. Erkrankungen mit psychosomatischem Anteil sind weit verbreitet, Schätzungen gehen von jedem dritten bis vierten Patienten aus. Bluthochdruck, Migräne oder uneinstellbarer Diabetes – das medizinische Spektrum ist weit. Auch sehr körperbetonte Ereignisse, wie etwa ein Autounfall mit Knochenbrüchen, können eine posttraumatische Belastungsstörung und in weiterer Folge eine psychosomatische Erkrankung hervorrufen. „Mir ist wichtig zu betonen: Diese Menschen sind nicht psychisch krank. Vielmehr will die psychosomatische Medizin ihnen helfen, mit den psychischen Aspekten auch ihr körperliches Wohlbefinden wieder herzustellen.“

Warnsignale des Körpers

Genau deshalb seien das ärztliche Gespräch und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient besonders wichtig, betont Strauß. In einem diagnostisch-therapeutischen Gespräch muss auch das Umfeld des Patienten in die Diagnose und vor allem in die Erstellung des Behandlungsplans mit einbezogen werden. „Der Patient muss seine Erkrankung mit allen ihren Ursachen auch verstehen“, ist der Experte überzeugt. Die Behandlung muss vor allem in das Lebenskonzept des Patienten passen. Herangehensweisen gibt es viele, manchmal helfen bereits kleine Veränderungen wie das Erlernen einer Entspannungstechnik, mehr Bewegung und bewusste Pausen. „Ich muss mich individuell am Patienten orientieren – das unterscheidet die psychosomatische von der konventionellen Medizin.“ Denn etwa erhöhter Blutdruck ist nicht einfach nur eine Erkrankung, es ist ein Signal des Körpers: Achtung, hier hängt im biosozialen Gleichgewicht etwas schief. „Wer das Signal erkennt, hat schon viel gewonnen“, sagt Strauß.

Psychische Belastung stört die Körperabwehr

Immer wieder zeigen Studien, wie sehr die Seele den Körper beeinflussen kann. Der Mediziner berichtet etwa von einer Studie mit Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren. Hatten die Studienteilnehmerinnen im privaten Umfeld Probleme, stieg ein Krebsmarker in ihrem Harn binnen zwei bis drei Tagen signifikant an. Denn psychische Belastungen können die Körperabwehr stören. Allerdings werde diese Seite der Medizin noch viel zu wenig in den Arzt-Alltag integriert, ist Strauß überzeugt: „Wenn die Krankenkasse beliebig viele teure Untersuchungen zahlt, aber das ärztliche Gespräch nicht honoriert, läuft etwas falsch.“