Noch in der alten griechischen Medizin, die gerade im psychiatrischen Bereich ein recht hohes Niveau aufgewiesen hat, sah man den Sitz von Geist und Verstand nicht im Gehirn. Die Psyche wurde in der Brust – zwischen Thymus und Zwerchfell – und nicht im Kopf angesiedelt. Erst die mittelalterliche Heilkunst erkannte die Bedeutung des Gehirns als wichtigstes Organ, als Ort der psychischen Funktionen und Kommandozentrale der meisten körperlichen Abläufe.

Damit war auch klar, dass im Gehirn Lokalisation und Ursachen vieler  psychischer Störungen, der mentalen Behinderungen und der Psychosen zu finden sind. Lange Zeit galt deshalb der Grundsatz: „Psychische Krankheiten sind Hirnkrankheiten.“

Hirnkrankheiten

Nun kann das Gehirn wie jedes andere Organ somatisch erkranken: Durch Entzündungen und degenerative Prozesse, durch Tumoren, Durchblutungsstörungen oder – heute infolge von Sport- und Verkehrsunfällen sehr häufig – durch Verletzungen. Diese als hirnorganische Störungen bezeichneten Schädigungen werden in einer älter werdenden Gesellschaft zunehmen.

Vaskuläre Demenzen und vor allem Alzheimer-Erkrankungen, früher noch nicht so häufige Vorkommnisse, haben sich zu einem der großen gesundheitlichen Problembereiche entwickelt. Jede dritte Person, die das 65. Lebensjahr erreicht, wird an einer Demenz erkranken. In Österreich müssen wir pro Jahr mit 30.000 Neuerkrankungen rechnen, sodass jeden Tag etwa 80 Demenzfälle hinzukommen.

Dies bedeutet nicht nur eine präventive, therapeutische, soziale und ökonomische Herausforderung ersten Ranges, sondern wirft auch ethische Fragen, wie z.B. jene der passiven und aktiven Euthanasie auf.

Geisteskrankheiten

Bei einem weiteren Teil der psychischen Krankheiten, den sogenannten endogenen Psychosen, gilt zwar eine Störung von Gehirnstruktur oder -funktion als sicher. Allerdings hat man diese bis heute weder durch bildgebende noch durch hirnphysiologische Untersuchungsmethoden nachweisen können.

Sowohl bei den schizophrenen Erkrankungen, die etwa 0,9 Prozent der Bevölkerung betreffen, als auch bei den etwa 10 Prozent der Erwachsene erfassenden Depressionen ist die letzte, in Störungen des Gehirnstoffwechsels vermutete Ursache bis heute nicht nachgewiesen.

Dabei hat die psychiatrische Therapie gerade bei diesen schweren Störungen enorme Fortschritte gemacht. Durch moderne psychopharmakologische, psychotherapeutische und soziorehabilitative Verfahren haben die Geisteskrankheiten ihren Schrecken ein Stück weit verloren.

Die den Großteil der psychischen Störungen ausmachenden krankhaften Reaktionen, von den Neurosen bis zu den Ängsten, vom Burnout bis zu den posttraumatischen Belastungsstörungen reichend, sind nicht im Hirnorgan verankert, sondern ein Stockwerk höher: Im Bereich des Geistes, in der eigentlichen Psyche. Deshalb sind Neurosen, Ängste oder Abhängigkeiten in erster Linie mit psychologisch-psychotherapeutischen Methoden zu verstehen und zu behandeln.

Verstandesangelegenheiten

Wenn unser Geist im Gehirn beheimatet und das im Kopf lokalisierte Organ der Sitz vieler psychischer Erkrankungen ist, kommt dem Thema „Kopf und Psyche“ in der Prävention und Therapie enorme Bedeutung zu. Nach dem Generalverzeichnis der psychischen Störungen, dem kürzlich neu erschienenen Diagnostischen und Statistischen Manual DSM-V, ist bei 37,5 Prozent der Erwachsenen zumindest eine psychiatrische Diagnose zu stellen.

Wenngleich dies etwas übertrieben erscheint und mit der niedrig angesetzten Grenze zwischen normal und gestört, zwischen gesund und krank zu tun hat, ist der Trend hin zu psychischen Erkrankungen unübersehbar.

Die Zukunft der Medizin liegt auf vielen Ebenen tatsächlich im Kopf und in der Psyche. Nur über diese Wege kann es gelingen, psychische Leiden zu mildern, erfolgreich zu therapieren und zu verhindern. Die wahren Abenteuer sind im Kopf und die größten Rätsel bleiben Gehirn und Psyche. Ob der menschliche Verstand jemals in der Lage sein wird, sich selbst zu begreifen, ist bei allen großartigen Fortschritten der Hirnforschung allerdings fraglich.