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  • Seltene Anämien bei Kindern
Prof. Michael Pfeilstöcker
3. Medizinische Abteilung Hanusch Krankenhaus, Wien

Ursachen

Eisenüberladung

Der Eisenmangel ist eine allgemein bekannte Mangelerscheinung und ein Großteil der Menschen sind mit seiner Wirkweise bestens vertraut. Doch auch ein Zuviel an Eisen schädigt den Körper. Univ.-Prof. Dr. med. Michael Pfeilstöckerr vom Hanusch-Krankenhaus in Wien: Was ist eine Eisenüberladung und wie entsteht eine solche?

Eisen ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Organismus. Als Teil des roten Blutfarbstoffs ist Eisen für den Sauerstofftransport und den Energiestoffwechsel unabdingbar. Das Spurenelement wird über die Nahrung eingenommen, doch dessen Gleichgewicht im Körper muss ganz genau reguliert werden. Der Mensch hat keinen Mechanismus zur Eisenausscheidung – ein Zuviel an Eisen ist giftig und führt zu Organschäden, denn es hat eine direkte, giftige Wirkung auf die Zellen.

Eine Eisenüberladung im Körper kann auf verschiedenen Wegen zustande kommen. Durch genetische Defekte bilden sich sogenannte Hämochromatosen, angeborene Erkrankungen, bei welchen das Eisen durch den Darm vermehrt aufgenommen wird. Bei bestimmten Bluterkrankungen wiederum geht der Körper regulativ gegen eine ineffektive Blutbildung vor. Er nimmt mehr Eisen auf, das aber nicht in die Bildung roter Blutkörperchen umgesetzt werden kann. Drittens kann es bei Bluttransfusionen zu einer Eisenüberladung kommen – vor allem, wenn kein äquivalenter Blutverlust vorhanden ist.

Bei den angeborenen Erkrankungen kommen die Patienten oftmals bereits mit Organschädigungen zu uns. Bei ihnen ist bereits von Kinderbeinen an eine erhöhte Eisenaufnahme vorhanden. Allerdings dauert es Jahrzehnte, bis eine Eisenüberladung manifest und eine Organschädigung evident wird. Deswegen ist es wichtig, Eisenüberladungen früh zu erkennen, bevor eine Organschädigung eintritt. Dazu gibt es einen guten Suchtest, welcher sich am Ferritinwert im Blut orientiert. Dieser Test wird heutzutage sehr oft durchgeführt – die Chancen, eine Eisenüberladung zu erkennen, ist also groß.

Was sind die Auswirkungen der Eisenüberladung und wie wird eine solche diagnostiziert?

Die von einer Eisenüberladung betroffenen Organe sind unter anderem Leber, Herz und Bauchspeicheldrüse. Die Schäden an diesen Organen beinhalten Leberfibrosen, Zirrhosen, Lebertumore. Die Einlagerung des Zuviels an Eisen in den Herzmuskel führt zu einer Herzschwäche, und in der Bauchspeicheldrüse kann die Eisenüberladung zur Zuckerkrankheit führen. Wenn durch chronische Transfusion die Eisenüberladung bereits im Kindesalter beginnt, kommen zusätzlich Wachstumsstörungen dazu. (Anmerkung nicht für den Text: bei der hämochromatose entstehen die Schäden erst später, da die Eisenmenge viel langsamer zunimmt und Schäden daher erst im Erwachsenenalter passieren)

Wichtig ist die Früherkennung. Es gibt eine guten Suchtest, welcher sich am Ferritinwert im Blut orientiert. Ferritin ist ein Eiweiß im Blut und in den Zellen, an das Eisen bei Eisenüberladung gebunden wird und das deshalb vermehrt produziert wird. Die Feststellung eines erhöhten Ferritinwerts ist ein Hinweis, aber kein Beweis, denn es wird auch bei Entzündungsprozessen erhöht gebildet. Weitere Tests wie die Transferinsättigung oder spezielle Untersuchungsmethoden mittels Kernspintomographie, bei welcher Eisenablagerung in Leber und Herz festgestellt werden können, ergänzen die Diagnose. Auch eine Leberbiopsie ist möglich, allerdings mit den entsprechenden Risiken verbunden.

OÄ Dr. Sigrid Machherndl-Spandl
Abteilung Hämato-Onkologie am Krankenhaus der Elisabethinen, Linz

Bindende Therapie

Die Eisenchelationstherapie wird am häufigsten bei Patienten angewandt, die eine transfusionsbedingte Eisenüberladung bei der Behandlung von Erkrankungen des Blutes oder der blutbildenden Organe erleiden. OÄ Dr. Sigrid Machherndl-Spandl, Abteilung Hämato-Onkologie am Krankenheuas der Elisabethinen Linz, über die verschiedenen Formen der Eisenchelationstherapie.

Vorab werden dazu die Speichereisenwerte im Körper mittels einer Blutuntersuchung erhoben. Überschreiten diese signifikant die Normwerte, wird die Eisenchelationstherapie begonnen. Die Dosis des Chelators richtet sich nach Höhe des Eisenspiegels und des Körpergewichtes. Das Standardverfahren ist die Verabreichung eines Medikaments mit einem bestimmten Wirkstoff per Infusion in die Vene oder in das Unterhautfettgewebe des Patienten, das an mehreren Tagen in der Woche durchgeführt werden muss.

Zusätzlich steht ein oraler Eisenchelator zur Verfügung, der täglich eingenommen wird. Dieser ist für Betroffene geeignet, die eine Therapie benötigen, aber eine Infusion wegen Unverträglichkeit nicht erhalten können oder bei denen die subkutane Dauerinfusion über mehrere Stunden nicht zumutbar ist. Vor knapp zehn Jahren wurde ein neuer Eisenchelator für die Behandlung der Eisenüberladung bei Thalassämiepatienten zugelassen. Dieser gibt den Wirkstoff über 24 Stunden hinweg ab und muss nur einmal täglich als gelöste Tablette in einem Glas Wasser eingenommen werden. All diesen Therapieformen liegen Wirkstoffe zugrunde, die Eisen im Blut binden und eine vermehrte Ausscheidung des Eisens bewirken.

Die Therapie mobilisiert auch eine zu hohe Konzentration an Speichereisen aus dem Gewebe und reduziert dieses kontinuierlich über einen langen Zeitraum hinweg. Durch die rechtzeitige Behandlung können Folgeschäden an den Organen eingedämmt werden. Die Eisenchelationstherapie ist gerade bei schweren Formen von Thalassämie oder dem myelodysplastischen Syndrom (MDS) mit niedrigem Risiko eine erfolgreiche Dauertherapie und bei Kindern mit Thalassämie bereits zugelassen.

Welche Auswirkung hat eine Eisenüberladung im Körper?

Das Spurenelement Eisen dient u.a. nach Einbau in das Häm-Molekül in den roten Blutkörperchen dem Sauerstofftransport und der Funktion von Enzymen im menschlichen Körper. Der größte Teil befindet sich im Hämoglobin, dem roten Blutfarbstoff und Bestandteil der roten Blutkörperchen. Andere Teile des Eisens sind in Depots in den Leberzellen gespeichert sowie in Muskeln.

Ein kleiner Rest wird im Blut an das Transportprotein Transferrin gebunden, das Eisen zu den Zellen transportiert. Eisen, das in gespeicherter Form vorliegt wird als Ferritin bezeichnet. Bei wiederholten Bluttransfusionen über einen längeren Zeitraum – der internationale Richtwert liegt bei 20 Transfusionen – kann es durch die hohe Konzentration an Eisen in den roten Blutkörperchen, das nach Transfusion freigesetzt wird, zu einem Überschuss an Eisen kommen, einer sogenannten Eisenüberladung. Eisen, das weder an Transferrin im Blut gebunden noch in den Depots gespeichert werden kann, zirkuliert als freies Eisen im Blut (labiles Plasma-Eisen), denn Eisen ist eines der wenigen Substanzen, die der Körper nicht aktiv ausscheiden kann.

Das freie Eisen reagiert zu hochreaktiven freien Radikalen, die vor allem in den Herz- und Leberzellen aufgenommen werden. Es kann dadurch zu einer langfristigen Schädigung der Zellen des Herzmuskels, der Leber aber auch Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus bei Schädigung der Bauchspeicheldrüse oder anderen hormonbildenden Organen wie der Schilddrüse kommen. Um Schädigungen und Folgeerkrankungen zu verhindern, ist es wichtig, eine Eisenüberladung bei Risikogruppen frühzeitig zu erkennen. Eine Eisenüberladung kann prinzipiell medikamentös mit einer Eisenchelationstherapie gut behandelt werden.

Univ.-Prof. Dr. Milen Minkov
Kinderhämatologie am St. Anna Kinderspital

Seltene Anämien mit vielfältigem Spektrum

In Welchem Alter treten Seltene Anämien am häufigsten auf?

Eine Seltene Anämie betrifft nur einen sehr geringen Prozentsatz der Bevölkerung, doch die meisten Krankheitsbilder präsentieren sich bereits im Kleinkindalter mit unterschiedlichen Ausprägungen. Die Kugelzellenanämie, die Diamond-Blackfan-Anämie, die Sichelzellenanämie oder die Beta-Thalässamie – auch Mittelmeer-Anämie genannt – sind die bekanntesten unter den seltenen Anämien in unserer geografischen Breite.

Bei der Mittelmeer-Anämie etwa kommt es durch eine genetische Störung zu einer Fehlbildung in der Zusammensetzung des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin und einem gesteigerten Abbau der roten Blutkörperchen im Knochenmark, bereits vor deren Übertritt ins Blut. Derzeit diagnostizieren wir an der Ambulanz fünf bis sieben neue Fälle der Sichelzellennämie pro Jahr, eine Thalassämie wird alle zwei Jahre neu diagnostiziert. Eine Kugelzellanämie kann bereits einige Tage nach Geburt zu ausgeprägter Blässe und Gelbsucht führen.

Bei mildem Verlauf kann die Diagnose auch später im Erwachsenenalter als Zufallsbefund gestellt werden. Der Verlauf und die Symptome hängen von dem Schweregrad der genetischen Störung ab. Die Definition der Anämie richtet sich nach dem Normwert des Hämoglobin (Hb) im Blut (bei Frauen l<12 g /dl, bei Männern <13 g /dl und bei Kindern l<11 g /dl). Darunter wird von einer leichten, mittelschweren und einer schweren Form gesprochen. Durch die Fortschritte in der Behandlung, unter anderem in der Eisenchelationstherapie, hat sich die Lebenserwartung von Patienten mit angeborenen Anämien erheblich verbessert.

Welche Therapieformen gibt es in der Behandlung von seltenen Anämien?

Eine seltene Anämie ist ein Begriff für ein vielfältiges Spektrum an Erkrankungen und somit auch unterschiedlichen Behandlungsstrategien. Grundsätzlich steht als Behandlungsoption bei allen Anämien die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (rote Blutkörperchen, die von Spendern gewonnen wurden). Es gibt bestimmte Formen, welche sehr gut medikamentös oder in Kombination mit anderen Therapieansätzen behandelbar sind.

Ein Paradebeispiel für die Komplexität der Behandlung ist die Sichelzellanämie. Aufgrund der Komplikationen in fast allen Körperorganen wird diese auch als Sichelzellkrankheit bezeichnet. Bei Patienten mit einem besonders schweren Verlauf dieser Erkrankung wird eine Knochenmarkstransplantation durchgeführt. Bei leichteren Formen erfolgt die Behandlung der Symptome. Sehr wichtig ist es den Betroffenen auch vor lebensbedrohlichen Komplikationen zu schützen, wie etwa durch vorbeugende Impfungen wegen einer erhöhten Infektionsanfälligkeit.

Die individuelle Therapie und das genaue Wissen über die Erkrankung entscheiden über die Erfolgsaussichten der angewandten Behandlung. Wir sprechen zwar von seltenen Anämien, jedoch sind es die vielfältigen Begleiterkrankungen (wie Eisenüberladung, Osteoporose, etc.), die mit zunehmendem Alter in den Vordergrund treten und behandelt werden müssen. Da die meisten seltenen Anämien in sehr frühen Lebensjahren auftreten, erfolgt die ärztliche Behandlung meist durch einen Kinderarzt, im regen Austausch mit der spezialisierten hämatologischen Ambulanz.

Wegen der geringen Lebenserwartung wurden seltene Anämien früher als Kinderkrankheiten bezeichnet und blieben den Internisten zumeist verborgen. Spezielle Transitionsprogramme sollen in Zukunft verstärkt betroffene Kinder und Jugendlich an der Schnittstelle zum Erwachsenalter medizinisch begleiten.

OA Priv.-Doz. Dr. Leo Kager
Leiter der Ambulanz für Hämatologie, Onkologie und Immunologie, St. Anna Kinderspital

Seltene Anämien bei Kindern

Zu welchen Komplikationen kann es bei Kindern mit Seltenen Anämien kommen?

Bei Kleinkindern mit Sichelzellerkrankung sind durch die Minderfunktion der Milz oft tödliche Infektionen mit bekapselten Bakterien aufgetreten. Durch Elternschulungen, sofortige Vorstellung der Kinder bei Fieber an einer Fachabteilung, Impfungen gegen bekapselte Bakterien und Gabe einer oralen Penicillin-Prophylaxe ist es geglückt, diese infektionsbedingten Todesfälle zu verhindern.

Bei Patienten mit Sichelzellerkrankung kann es weiters durch krankheitsbedingte Thrombosen in kleinen Gefäßen zu starken Schmerzen – Schmerzkrisen – kommen. In solchen Fällen ist rasch eine adäquate Schmerztherapie einzuleiten. Die Eltern lernen auch frühzeitig, die Milz zu ertasten. Eine akut starke Vergrößerung der Milz bei plötzlicher Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann ein Hinweis auf eine Milzkrise sein, mit der Gefahr der inneren Verblutung in der Milz.

Um die Verengung der Blutgefäße im Gehirn festzustellen, wird einmal jährlich eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Regelmäßige Bluttransfusionen dienen als entsprechende Schlaganfallprophylaxe. Bei Kindern mit der schweren Form der Mittelmeer-Anämie (Beta-Thalassämie major) sind regelmäßige Erythrozytengaben etwa alle drei bis vier Wochen erforderlich. Einerseits, um die schwer gestörte Blutbildung zu unterdrücken, und andererseits die Blutarmut auszugleichen.

Wenn dies nicht erfolgt, sterben die Patienten vor dem 20. Lebensjahr durch Eisenüberladung und hypoxische Organschäden. Durch die regelmäßigen Transfusionen kommt es aber auf lange Sicht ebenfalls zur gefährlichen Eisenüberladung vor allem der Leber, des Herzens und der Bauchspeicheldrüse und es ist notwendig, das Eisen medikamentös aus dem Körper zu entfernen. Dies kann mit einer Eisenchelationstherapie erfolgen.

Wie können Eltern in der Familienplanung präventiv entgegenwirken?

Nach Identifizierung eines genetischen Defektes bei einem Kind mit angeborener seltener Anämie werden eine genetische Untersuchung der Eltern und Geschwister und danach eine Familienberatung angeboten. Diese umfasst, eine Erhebung der gesundheitlichen Vorgeschichte der Familienangehörigen bis hin zur großelterlichen Generation, Information über das spezifische genetische Risiko und über die zugrundeliegende Erkrankung.

Die Eltern müssen über ein potentielles Risiko einer Erkrankung bei weiteren Kindern aufgeklärt werden. Die Beta-Thalassämie beispielsweise wird autosomal-rezessiv vererbt. Bekommen Eltern, die beide heterozygote Merkmalsträger sind (d.h. vom Hämoglobingen liegt eine normale und eine pathologische Variante vor) ein Kind, besteht ein Risiko von 25 Prozent, dass das Kind an einer schweren Form der Mittelmeeranämie - der Beta-Thalassämie major - erkrankt.

Das Risiko, dass die Kinder ebenso wie die Eltern heterozygote Merkmalsträger sind beträgt 50%. Die Wahrscheinlichkeit dass die Kinder gesund und keine Merkmalsträger sind beträgt 25%.

Im Falle eines Kinderwunsches oder bei bestehender Schwangerschaft werden auch Informationen über die Möglichkeiten, Grenzen und Risiken der vorgeburtlichen Diagnostik gegeben. Je früher wir eine seltene Anämie bei Kindern diagnostizieren, eine adäquate Behandlung einleiten und Präventivmaßnahmen zur Vermeidung von Komplikationen durchführen können, desto besser stehen die Chancen auf ein kaum beeinträchtigtes Erwachsenenleben.